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Freitag, 23. Februar 2018

*ZUFALL*



*TELEFON*


Heute Nacht habe ich eine Nummer geträumt, und beim Aufwachen wusste ich sie noch ganz klar und deutlich: 27 13 08.

Das war vor mehr als dreißig Jahren die Telefonnummer meiner Mutter, die jetzt bald zwanzig Jahre tot ist. Und auf einmal hatte ich eine solche Sehnsucht, diese Nummer anzurufen und ihr all das zu sagen, was ich, als sie noch lebte, nie hatte sagen können. Und ihr auch zu sagen: Du hattest recht, das Altwerden ist schwer. Ich verstehe das jetzt alles besser, und meine Strafe dafür, dir damals nicht zugehört zu haben, ist meine eigene Traurigkeit.

Ich sitze vor dem Telefon, wähle deine Nummer mit der richtigen Vorwahl. Die Automatenstimme sagt: " Die gewählte Rufnummer ist ungültig."

Ist sie nicht.


***


Vielen Dank für diese anrührende Geschichte, Elke Heidenreich!

Ich werde meiner Mam ab sofort ganz anders zuhören und freue mich, daß ihre Rufnummer - hoffentlich noch lange - gültig ist.......







 Ich finde, es war ein wunderbarer ZUFALL, daß mir dieses Buch zugefallen ist!



Samstag, 16. Dezember 2017

*FORTUNE CHINOISE*



*DAS GESCHENK*
Joe Lederer

Einmal habe ich eine Zeitlang in China gelebt. Ich war im Frühling in Shanghai angekommen, und die Hitze war mörderisch. Die Kanäle stanken zum Himmel, und immer war der ranzige, üble Geruch von Sojabohnenöl in der Luft. Ich konnte und konnte mich nicht eingewöhnen. Neben Wolkenkratzern lagen Lehmhütten, vor denen nackte Kinder im Schmutz spielten. Nachts zirpten die Zikaden im Garten und ließen mich nicht einschlafen.

Im Herbst kam der Taifun, und der Regen stand wie eine gläserne Wand vor den Fenstern. Ich hatte Heimweh nach Europa. Da war niemand, mit dem ich befreundet war und der sich darum kümmerte, wie mir zumute war. Ich kam mir ganz verloren vor in diesem Meer von gelben Gesichtern.




Und dann kam Weihnachten. Ich wohnte bei Europäern, die chinesische Diener hatten. Der oberste von ihnen war der Koch, Ta-tse-fu, der große Herr der Küche. Er radebrechte deutsch und war der Dolmetsch zwischen mir und dem Zimmer-Kuli, dem Ofen-Kuli, dem Wäsche-Kuli und was es da eben sonst noch so an Dienerschaft im Haus gab. Am Heiligen Abend, ich saß wieder einmal verheult in meinem Zimmer, überreichte mir Ta-tse-fu ein Geschenk. Es war eine chinesische Kupfermünze mit einem Loch in der Mitte, und durch das Loch waren viele bunte Wollfäden gezogen und dann zu einem Zopf zusammengeflochten. "Eine   sehr alte Münze", sagte der Koch feierlich. "Und die Wollfäden sind von mir und mein Frau und von Zimmer-Kuli und sein Schwester und von Eltern und Brüder von Ofen-Kuli, von uns allen sind die Wollfäden." 




Ich bedankte mich sehr. Es war ein merkwürdiges Geschenk - und noch viel merkwürdiger, als ich zuerst dachte. Denn als ich die Münze mit ihrem bunten Wollzopf einem Bekannten zeigte, der seit Jahrzehnten in China lebte, erklärte er mir, was es damit für eine Bewandtnis hatte:

Jeder Wollfaden war eine Stunde des Glücks. Der Koch war zu seinen Freunden gegangen und hatte sie gefragt: "Willst du von dem Glück, das dir für dein Leben vorausbestimmt ist, eine Stunde des Glücks abtreten?"

Und Ofen-Kuli und Zimmer-Kuli und Wäsche-Kuli und ihre Verwandten hatten für mich, für die fremde Europäerin, einen Wollfaden gegeben, als Zeichen, dass sie mir von ihrem eigenen Glück eine Stunde des Glücks schenkten. Es war ein großes Opfer, das sie brachten. Denn wenn sie auch bereit waren, auf eine Stunde ihres Glücks zu meinem Gunsten zu verzichten - es lag nicht in ihrer Macht zu bestimmen, welche Stunde aus ihrem Leben es sein würde. Das Schicksal würde entscheiden, ob sie Glücksstunden abtraten, in denen ihnen ein reicher Verwandter sein Hab und Gut verschrieben hätte, oder ob es nur eine der vielen Stunden sein würde, die sie glücklich beim Reiswein saßen; ob sie die Glücksstunde wegschenkten, in der das Auto, das sie sonst überfahren hätte, noch rechtzeitig bremste - oder die Stunde, in der das junge Mädchen vermählt worden wäre.




Blindlings und doch mit weit offenen Augen machten sie mir, der Fremden, einen Teil ihres Lebens zum Geschenk.

Nun ja, die Chinesen sind abergläubisch. Aber ich habe nie wieder ein Weihnachtsgeschenk bekommen, das sich mit diesem hätte vergleichen lassen.

Von diesem Tag an habe ich mich in China zu Hause gefühlt. Und die Münze mit dem bunten Wollzopf hat mich jahrelang begleitet.

Ich habe sie nicht mehr.

Eines Tages lernte ich jemanden kennen, der war noch übler dran als ich damals in Shanghai. Und da habe ich einen  Wollfaden genommen, ihn zu den anderen Fäden geknüpft - und habe die Münze weitergeschenkt.




***

Diese berührende Geschichte schlummert schon einige Jahre in meinem Bücherregal. Jedes Jahr habe ich den Zeitpunkt zum Erzählen verpaßt. Heuer kam sie mir zum Glück rechtzeitig in den Sinn :)

*

Die entzückenden Bilder stammen alle von der fantasievollen Französin Gaëlle Boissonnard.




Donnerstag, 5. Januar 2017

*FRANKEN'S PARIS*



 
Seit zwei Jahren schlummert in meiner Schublade eine Geschichte von Elmar Tannert, einem Nürnberger Schriftsteller und Musiker. Er widmete diese einer ganz besonderen Ecke Fürth's. Der Hornschuchpromenade, Königswarter- und Jakobinenstraße mit ihren märchenhaften Häusern.



 

Den Franken und vielen Architekten ist dieser einzigartige Stadtteil natürlich bekannt. Und damit er noch bekannter wird, präsentiere ich heute Elmar's  schöne Liebeserklärung mit meinen Fotos dazu.
 
Viel Spaß beim Lesen & Schauen!




 
*Neujahrsvorsatz auf dem Weg nach Fürth*
 
Es gibt bekanntlich Menschen, die man zu ihrem Glück zwingen muss. Dass auch ich zu ihnen gehöre, wurde mir erst an jenem Tag bewußt, als der U-Bahn-Zug, in dem ich saß, in die Station Jakobinenstraße einfuhr und hunderte von Schülern sich bereit machten zum Entern. Eigentlich hätte ich zu meinem Zahnarzt bis Fürth Hauptbahnhof weiterfahren müssen, aber gepackt von einem Fluchtimpuls stieg ich aus, um das letzte Wegstück oberirdisch zurückzulegen.
 


















 
 
 
 

Eine halbe Minute später kam ich dort, wo Fürth wie Paris aussieht, von der Unterwelt ans Licht des sonnigen Herbsttages, schlenderte glückselig die Hornschuchpromenade entlang und genoss das Gefühl, soeben in einen spontanen Kurzurlaub eingetaucht zu sein.
 
 



 
Warum war ich nicht schon längst und vor allem: von selbst auf die Idee gekommen, eine Station vorher auszusteigen? Liegt es daran, daß ich in Fürth den besten aller Zahnärzte gefunden habe und mit so großer Vorfreude zu den Terminen fahre, daß ich keine Zeit versäumen will?
 





Das mag ein Teil der Erklärung sein, aber hauptsächlich muß sie wohl lauten, daß meine Fähigkeit mich den hübschen Kleinigkeiten des Lebens hinzugeben, unterentwickelt ist. Dabei habe ich schon seit vielen Jahren, wann immer ich, vornehmlich abends die Stadtgrenze in Richtung Fürth überschreite, das Gefühl, für eine Weile meiner unauflösbaren Zwangsehe mit Nürnberg zu entrinnen und eine heimliche Geliebte zu besuchen, die mich mit liebreizenden Orten der Gastlichkeit lockt - mich umso mehr lockt, als Gostenhof, das man früher mit gewisser Berechtigung das "Fürth von Nürnberg" nennen konnte, mittlerweile alle Entspanntheit verloren hat und nur noch aufgesetzte Kultigkeit versprüht.
 




 
Was aber, fragte ich mich auf dem Weg, haben die Geliebte und ich von meinen Zahnarztbesuchen, wenn ich sie so zweckmäßig erledige wie bisher - zum Bahnhof fahren, drei Schritte zur Praxis gehen und eine Stunde später dasselbe wieder zurück?
 




So faßte ich meinen Neujahrsvorsatz schon im September, und er gilt nicht nur fürs nächste Jahr, sondern mein Leben lang: Welche Fürther Adresse auch immer ich ansteuern muß - ich steige stets an der Jakobinenstraße aus und gehe von dort aus zu Fuß.
 




 
Dadurch habe ich schon eine weitere Korrespondenz zwischen Fürth und Paris entdeckt: Dort, wo die Hornschuchpromenade an ihrem östlichen Ende auszufransen beginnt, kam ich einmal an einem Kiosk vorbei, wo "Kaffee" für einsachzig, "Kaffee, bitte" für einsfünfzig feilgeboten wurde; bald darauf las ich von einem kleinen Pariser Café, in dem man "uncafé" für 2 Euro, "un café s'il vous plait" für 1,80 Euro bekommt.
 




 
Übrigens handelt es sich bei meinem Zahnarzt um einen Wahlfürther, der eigentlich aus Nürnberg stammt. Beim nächsten Termin werde ich ihn fragen, ob es zu einer glücklichen Beziehung führt, wenn man die Geliebte zur Ehefrau macht und für immer auf die andere Seite der Stadtgrenze wechselt.....
 




 
Vor zwei Jahren wünschte Elmar Tannert ein glückliches neues Jahr mit möglichst vielen Entdeckungen auf Kurzurlauben und Entspannungsinseln im Alltag. Ich denke, das kann man heuer auch noch wünschen - vielleicht sogar mal einen Kurzurlaub in......Fürth!
 


Christel's Haus
 


 
Übrigens....wen es interessiert, wie es in diesen Häusern innen aussieht - bitte schön! HIER habe ich mal eine Wohnung gezeigt.
 
 



 
Und als hätte er es gewußt, daß ich für einen Neujahrspost fotografiere, radelte dieser glücksbringende Schornsteinfeger flott an mir vorbei!

 
Das MUSS ein glückliches Jahr werden :)