Vergangene Woche starb der große Schriftsteller Paul Auster. An diesem Tag - sein Tod war mir noch nicht bekannt! - fiel mir zufällig DAS ROTE NOTIZBUCH in die Hände und ich begann es noch einmal zu lesen. Die magische Ute schickte es mir einmal als Geschenk. Ich möchte hier gerne eine kleine Geschichte daraus veröffentlichen.....
Beim Thema Freundschaft, besonders wenn ich darüber nachdenke, wie manche Freundschaften Bestand haben und andere nicht, fällt mir unwillkürlich ein, daß ich in all meinen Jahren als Autofahrer erst vier Reifenpannen gehabt habe und daß dabei jedesmal dieselbe Person mit mir im Wagen gesessen hat (in drei verschiedenen Ländern, verteilt auf einen Zeitraum von acht bis neun Jahren).
J. und ich kannten uns vom College her, und obwohl unsere Freundschaft nie ganz frei von Zwist und Unbehagen war, kamen wir eine Zeitlang gut miteinander aus. Einmal im Frühling, noch während des Studiums, liehen wir uns den uralten Kombi meines Vaters und fuhren in die Wildnis von Quebec hinauf. Dort herrschte noch Winter, denn in diesem Teil der Welt vollzieht sich der Wechsel der Jahreszeiten langsamer als anderswo. Die erste Reifenpanne war kein Problem (wir hatten einen Ersatzreifen dabei), doch als keine Stunde später der zweite Reifen platzte, saßen wir fast den ganzen Tag in der frostigen rauhen Landschaft fest. Damals bin ich mit einem Achselzucken darüber hinweggegangen, es war eben Pech; aber als J. vier, fünf Jahre später nach Frankreich kam und L. und mich in dem Haus besuchte, wo wir als Verwalter arbeiteten (er war in elender Verfassung, wie gelähmt vor Gram und Selbstmitleid, und merkte nicht, daß er unsere Gastfreundschaft strapazierte), geschah das gleiche.
Wir fuhren für einen Tag nach Aix-en-Provence (eine Fahrt von etwa zwei Stunden), und auf dem Rückweg, spätabends auf einer dunklen, abgelegenen Landstraße hatten wir wieder einen Platten. Zufall, dachte ich und verdrängte den Vorfall aus meinen Gedanken.
Aber vier Jahre später, in den letzten Monaten meiner Ehe mit L., war J. wieder bei uns zu Besuch - diesmal im Bundesstaat New York, wo L. und ich mit dem kleinen Daniel lebten. Eines Tages stiegen J. und ich ins Auto, um etwas zum Abendessen zu besorgen. Ich setzte den Wagen aus der Garage, wendete auf der unbefestigten Einfahrt, hielt an der Straße, sah nach links, rechts und links und wollte losfahren. In diesem Augenblick, als ich noch einen vorbeikommenden Wagen abwartete, vernahm ich das unverkennbare Zischen. Wieder war einem Reifen die Luft ausgegangen, und diesmal hatten wir noch nicht einmal das Grundstück verlassen. J. und ich lachten natürlich, aber fest steht, daß unsere Freundschaft sich von dieser vierten Reifenpanne nie mehr richtig erholt hat. Ich sage nicht, diese Reifenpannen seien der Grund für unsere Entfremdung gewesen, doch auf irgendeine verquere Art waren sie ein Symbol dafür, wie es immer zwischen uns gestanden hatte, das Zeichen eines unfaßlichen Fluchs.
Ich will nicht übertreiben, aber noch heute fällt es mir schwer, diese Reifenpannen als bedeutungslos abzutun. Denn Tatsache ist, daß J. und ich keinen Kontakt mehr haben, daß wir seit über zehn Jahren nicht mehr miteinander gesprochen haben.
Ich muß gestehen, daß ich nur dieses kleine Büchlein mit den wahren Geschichten, bei denen der Zufall eine entscheidende Rolle spielt, von Mr. Auster kenne, möchte jetzt aber auf jeden Fall noch weitere von ihm lesen!
Ute, die Königin der Wonderstories - ihr passieren die tollsten Dinge! - hielt unsere kleine Geschichte in ihrem Blog fest und würdigte diesen großartigen Schriftsteller. HIER könnt Ihr es nachlesen :)