Von Bob Dylan kann man immer etwas lernen. Man hat ihn zum Kandidaten für den Literaturnobelpreis gemacht, Professoren haben seine schrägen Texte in dicken Büchern intellektuell ausgelotet und, was das Schlimmste ist, deutsche Feuilletonisten haben sich seiner bemächtigt. Es hätte nahegelegen, die Klugscheißer einmal mehr mit unverständlicher Assoziationspoetik zu verarschen. Macht er aber nicht. Auf seinem neuen Album Together Through Life, dem ersten Studioalbum seit sieben Jahren, singt er Texmex-Schlager, Rock'n Roll, Pseudo-Folk, rotzigen Blues. Er schlüpft abwechselnd in die Rollen eines Straßensängers à la Muddy Waters, eines Mariachischnulziers und eines alten Memphis-Rockers. Klare Texte, simple Melodien. Nur Angeber werden immer komplizierter. Könner werden einfacher.
Donnerstag, 30. April 2009
Mittwoch, 29. April 2009
Exemplarisch
Im Kleinen wie im Großen. Im Verein wie in der Nation. Da denkt einer an die Zukunft und will das Team für den internationalen Wettbewerb fit machen. Die Notwendigkeit sieht man ja ein, theoretisch. Aber in der Praxis bedeutet Reform: Umlernen, auf Gewohntes verzichten, unbequeme Änderungen akzeptieren. Dagegen regt sich erst Zweifel, dann Trotz, dann geballter Widerstand. Keiner zieht mit. Ab sofort ist an allem Übel der Reformer schuld. Die unvermeidliche Durststrecke bis zum Wirken der Reform gilt bereits als Beweis ihres Scheiterns. Und so verliert die Fankurve die Geduld, noch bevor der Effekt der Neuordnung logischerweise eintreten kann. Man jagt den Reformer zum Teufel. So läuft das eben. Warum sollte es Jürgen Klinsmann besser ergehen als Gerd Schröder?
Dienstag, 28. April 2009
Unbelehrbar
Gegen Ende seines Seminars für Drehbuchautoren erzählt Robert McKee, Amerikas legendärer Screenplay-Guru, gern von seinen Gastvorlesungen in Deutschland. Eingeladen von Produktionsfirmen wie der Münchner Bavaria, führte er wiederholt deutsche Autoren und Produzenten in seine "Story"-Theorie und die Technik des Drehbuchschreibens ein. McKee' s launiger Bericht endet regelmäßig damit, dass er seine englischsprachigen Zuhörer beruhigt. Sie müssten keine Sorge haben, sagt er grinsend. Eine Konkurrenz wachse in Deutschland nicht heran. "Believe me. They don't get it. They just don't get it!"
Montag, 27. April 2009
Filmkunst
Rührend anzusehen, wie immer mehr deutsche Filmemacher sich redlich bemühen, ihren Hollywoodvorbildern nachzueifern. Die Logos, die Trailer und Webseiten sind den internationalen Blockbustern häufig zum Verwechseln ähnlich. Kameraführung, Soundeffekte, Ausstattung - Weltstandard. Die Musik... na ja, 1:1 kopiert von Hans Zimmer und James Horner, aber immer noch besser als das Synthesizergedudel, dass wir Kinogänger jahrelang in deutschen Filmen hören mussten. Auch an guten Schauspielern fehlt es nicht, auch wenn die sich ihre Arbeit oft allzu leicht machen (besonders peinlich Benno Fürmann in NORDWAND, der einen Berchtesgadener Bergsteiger spielt, aber offenbar keine Ahnung hat, wie Berchtesgadener Bergsteiger sprechen und sich bewegen). Aber was nutzt das alles? Die Drehbücher sind überwiegend dillettantisch, die Charakterzeichnungen entsprechend flach, die Handlungen vorhersehbar, die Dialoge einfallslos. Nichts ist wichtiger als das Screenplay, liebe Producer. Das Skript ist alles. Wenn ihr zur Weltspitze aufschließen wollt, kümmert euch um erstklassige Autoren.
Sonntag, 26. April 2009
Samstag, 25. April 2009
Wahnsinn
Jahrzehntelang meisterten nur die besten und kühnsten der Extremkletterer den sogenannten sechsten Schwierigkeitsgrad. Senkrecht aufsteigende glatte Wände mit ausgesetzten Überhängen wurden so eingestuft. Erst Ausnahmekletterer wie Reinhold Messner sprengten das System. Auf Hilfsmittel wie Haken und Steigeisen verzichtend, steigerten sie die Skala ins schier Unmögliche. Als Grenze des Erreichbaren gilt heute der zehnte Grad. Für normale Sterbliche der absolute Wahnsinn. Der Oberpfälzer Thomas Meier meistert mit 33 Jahren diese Schwierigkeit mit Eleganz. Obwohl er vor neun Jahren einen schweren Kletterunfall nur knapp überlebte. Er kostete ihn sein linkes Bein. Thomas Meier klettert mit einer Beinprothese schwindelerregende Felswände hinauf, in die sich weltweit weniger als zwanzig durchtrainierte Athleten wagen.
Freitag, 24. April 2009
Prinzipientreue
Ein bekannter Politiker wirkte im Herbst 2002 bei einer Charity Veranstaltung zugunsten verwahrloster Kinder in New York mit. Von einer TV-Journalistin wurde er aus diesem Anlass gefragt, wozu Kinder Nein sagen sollten. Seine Antwort: "Vor allem zu Gewalt. Ja, wir müssen die Kinder dazu bringen, jede Form der Gewalt klar abzulehnen." Im Hauptberuf ist dieser Politiker Filmschauspieler. In seinen Streifen werden insgesamt mehr als 700 Menschen zusammengeschlagen, erstochen oder erschossen. Sein Name ist Arnold Schwarzenegger.
Donnerstag, 23. April 2009
Gottesanbeterin?
Nadja N. ist also wieder raus aus der U-Haft. Das macht die Sache nicht besser. Klar, niemand findet es gut, wenn jemand einen anderen vorsätzlich verletzt. Möglicherweise tödlich und beim vermeintlichen Liebesakt. Volkes Stimme, wie immer von der Bild-Zeitung intoniert, ist rasch dabei, einem exotisch aussehenden Popmädchen zuzutrauen, wie eine Mantoida Ischnomantis (Gottesanbeterin) zu agieren - diese Fangschrecken töten bekanntlich die Männchen nach vollzogener Paarung. Doch Volkes Stimme ist ein schlechter Rechtsberater. Wer in einem Rechtsstaat eines Verbrechens verdächtigt wird, ist bis zum Gerichtsurteil als unschuldig anzusehen. Was für rechtsradikale Schläger gilt, muss auch für eine Popsängerin gelten. Während man die Gesichter und Namen beschuldigter Mörder und Kinderschänder unkenntlich macht, wurde Frau N. vorab an den Pranger gestellt. Was, wenn sich nur ein enttäuschter Liebhaber an ihr rächen wollte? Wer will objektiv feststellen, was im Bett gesagt und verheimlicht wurde? Man wird den Verdacht nicht los, dass hier ein Exempel statuiert werden sollte. Warnung vor dem leichtfertigen Umgang mit einer H.I.V. Infektion. Das mag populär und sogar volkserzieherisch sein. Doch dafür ist das Strafrecht nicht da.
Mittwoch, 22. April 2009
Ruhm
"In meinem Leben gibt es keine krassere Enttäuschung als die Berühmtheit. Man träumt vorher von einem Purpurgewand und findet sich plötzlich als Vogelscheuche."
Frank Wedekind
Dienstag, 21. April 2009
Vergessen
Am letzten Mittwochnachmittag verständigten besorgte Eltern die Bremer Polizei. Ihre achtjährige Tochter M. war nicht von der Schule nachhause gekommen. 200 Polizisten, eine Hundestaffel und ein Hubschrauber suchten in den folgenden 20 Stunden nach dem Mädchen. Eine Entführung war schon deshalb wahrscheinlich, weil die kleine M. autistisch und daher wehrloser als andere Kinder ist. Am Morgen wurde sie gefunden. Sie saß angeschnallt in dem in einer Garage abgestellten Kleinbus, der sie am Vortag mit fünf anderen Kindern von der Schule abgeholt hatte. Der Fahrer hatte das Mädchen abzuliefern vergessen und beim Abstellen des Autos nicht bemerkt, dass sie noch auf dem hintersten Rücksitz saß.
Montag, 20. April 2009
Traumkarriere
Zu melden ist die längst fällige Entdeckung des weiblichen Paul Pott. In der englischen Version der Superstarsuche, "Britain's Got Talent", verblüffte eine wohlgenährte Endvierzigerin das TV-Publikum mit einer kräftigen, wohlklingenden Popstimme. Sie sang "I Dreamed A Dream" aus dem Musical "Les Miserables". Das war in der letzten Woche, und seither haben weit über 20 Millionen den Auftritt von Susan Boyle auf YouTube gesehen (youtube.com/watch?v=9lp0IWv8QZY). Miss Boyle ist arbeitslos, lebt mit einer Katze zusammen und hat bisher nur in der Kirche gesungen. In einer Welt, in der Jugend und Schönheit mehr gilt als Talent und Persönlichkeit, ist ihr kometenhafter Aufstieg zum Welterfolg mehr als ein Märchen. Sie und Paul Pott sind das trotzige "Wir sind auch noch da!" einer schweigenden Mehrheit über die Macht der Medien.
Sonntag, 19. April 2009
Gulliver
Heute wird der Münchner Medienmanager Hans R. Beierlein 80. Unter den Liliputanern der Musikbranche ragte er von Anfang als Gulliver hervor. Nur fesseln ließ er sich nie. Viele begriffen nicht, warum er, der Riese, im Lande Liliput sein Quartier aufschlug. Schließlich hätte er es als Journalist zum Chefredakteur vom Stern, als Medienmann zum deutschen Murdoch, als Politiker zum Bundeskanzler bringen können. Dem Aufstieg zum Papst stand nur das Zölibat entgegen. All diese Karrieren langweilten ihn. Schlager und Stars zu machen, fand er spannender. Auch lustiger. Man hat ihn oft lachen gehört im Laufe der Jahre. Über das Staunen der früheren Kollegen, das Erschrecken der Leisetreter und die Dummheit der Liliputaner. Ohne Scheu nannte und nennt er Idioten Idioten und Arschlöcher Arschlöcher. Nicht, dass er ein Miesmacher wäre, ganz im Gegenteil. Er liebt edlen Wein, schöne Frauen und gutes Geld. Aber vor allem liebt er die Sprache. Er ist immer für eine witzige Formulierung, eine provokante Wortschöpfung und einen blitzgescheiten Aphorismus gut. Dafür liebe ich ihn. Mit 40, 60, 80 und 100. Ohne Hans R. Beierlein wäre die Musikbranche nichts weiter als eine spießige Zwergenrepublik.
Samstag, 18. April 2009
Notfall
Auf dem Flug von Honduras nach Atlanta musste Joao Correa, ein Fluggast der Economyklasse, dringendst auf die Toilette. Diese war von einem Servierwagen blockiert, den das Servicepersonal nicht wegschieben wollte. Daraufhin eilte der Passagier zur vorderen Toilette im Bereich der Business Class. Eine Stewardess verweigerte ihm den Zutritt. Correa flehte sie an, eine Ausnahme zu machen; er habe etwas Schlechtes gegessen, wenn er nicht rasch auf die Toilette käme, würde ein Unglück geschehen. Die Stewardess versperrte weiter mit ausgebreiteten Armen die Tür zum rettenden Verschlag. Kurzentschlossen ergriff der Mann ihren Arm, zog sie von der Tür weg und verschaffte sich auf diese Weise eigenmächtig Zutritt. Als er erleichtert wieder aus der Toilette kam, erwartete ihn der Flugkapitän mit Handschellen. Bei der Ankunft in Atlanta wurde Joao Correa vom FBI empfangen. Er sitzt derzeit ein wegen tätlichem Angriff auf das Kabinenpersonal während eines internationalen Flugs. Sein Magen ist wieder in Ordnung.
Freitag, 17. April 2009
Respekt, Emma!
Zu den vielen erstaunlichen Frauen des 19. Jahrhunderts zählt unbedingt Emma Herwegh. Bekannt wurde sie als Revolutionärin. Das hübsche Gesicht von einem breitkrempigen Hut beschattet, versuchte sie an der Seite ihres berühmten Mannes 1949 die badische Revolution zu retten. Weniger bekannt ist folgende, einige Jahre danach im Pariser Exil spielende Episode, die Anatol Regnier in seiner Frank-Wedekind-Biografie mitteilt: Emmas Mann Georg Herwegh hatte sich in die Frau des russischen Schriftstellers Alexander Herzen verliebt und einen Frauentausch vorgeschlagen. Herzen lehnte das empört ab und forderte Herwegh zum Duell. Statt darauf einzugehen, holte der unglücklich Verliebte einen Dolch und ging zu Herzens Frau, um mit ihr gemeinsam aus dem Leben zu scheiden. Emma Herwegh war aber ihrem Mann gefolgt und verhinderte im letzten Moment den Doppelselbstmord. Getrennt von seiner Geliebten, wollte Herwegh sich zu Tode hungern. Emma blieb bei ihm und hungerte mit. Als ihn wenig später die Nachricht von Frau Herzens Tod erreicht, verließ er Emma und lebte drei Jahre lang als Säufer und Bettler unter den Clochards. Eines Tages stand er wieder vor ihrer Tür. Sie ließ ihm ein Bad ein, kochte ihm ein Essen und tat ganz so, als wäre ihr Mann nur einfach von einer Reise zurückgekehrt. Sie verlor nie wieder ein einziges Wort über die Angelegenheit.
Donnerstag, 16. April 2009
Glücksfindung
"Je mehr der Mensch nach Glück jagt, um so mehr verjagt er es auch schon. Um dies zu verstehen, brauchen wir nur das Vorurteil zu überwinden, daß der Mensch im Grund darauf aus sei, glücklich zu sein; was er in Wirklichkeit will, ist nämlich, einen Grund dazu zu haben. Und hat er einmal einen Grund dazu, dann stellt sich das Glücksgefühl von selbst ein. In dem Maße hingegen, in dem er das Glücksgefühl direkt anpeilt, verliert er den Grund, den er dazu haben mag, aus den Augen, und das Glücksgefühl selbst sackt in sich zusammen. Mit anderen Wort, Glück muß erfolgen und kann nicht erzielt werden"
Viktor Frankl
Mittwoch, 15. April 2009
Trauriges Ende
Er war ein lausiger Sänger, ein schlechter Komponist und ein rücksichtsloser Kollege. Aber als Producer und Soundbastler war er genial. Andere müssen ewig auf Anerkennung warten, sein Problem war, dass er viel zu früh Erfolg hatte. Wer schon als Teenager drei Titel gleichzeitig in den Top Ten der US-Charts hat, kann sich kaum noch steigern. Anfang zwanzig hielt er sich für unfehlbar, Mitte zwanzig für den Gott der Popmusik. Mit dreißig kannte ihn keiner mehr. Da er seine Produktionen nicht mehr in den Hitparaden fand, tröstete er sich mit Drogen, Alkohol und Frauen. Um sich nach wie vor bedeutend zu fühlen, umgab er sich mit Leibwächtern. Verbittert schloss er sich tagsüber in ein verdunkeltes Zimmer ein. Nur nachts kam er heraus. Wer ihm widersprach, musste damit rechnen, mit der Pistole bedroht zu werden. Vor sechs Jahren fand man in seiner Villa die Leiche einer Frau, die er in einer Kneipe abgeschleppt hatte. Erschossen mit seiner Pistole. Selbstmord, behauptete er. Mord entschied jetzt die Jury. Das seltsame Leben des Pop-Producers Phil Spector wird im Gefängnis enden. Vermutlich hat er nichts anderes verdient. Traurig ist es trotzdem. Ein verpfuschtes Leben.
Dienstag, 14. April 2009
Naturalistisches Theater
In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts lebte der bereits hochberühmte Henrik Ibsen in München. Sein Kaffeehaus war das Café Maximilian, wo er einen ständig reservierten Tisch hatte. Um nicht von neugierigen Gästen begafft zu werden, saß er mit dem Rücken zum Lokal. Der Blick in einen an der Wand hängenden Spiegel erlaubte ihm die Beobachtung des Geschehens im Raum. Es hatte sich herumgesprochen, dass der bekannte Dramatiker im Maximilian verkehrte, und der Kaffeehausbesitzer profitierte davon. Wenn Ibsen für längere Zeit verreiste, engagierte das Café Maximilian daher einen Doppelgänger. Den zog man an wie das Original und setzte ihn mit dem Rücken zur Kundschaft vor den Spiegel. Die Gäste merkten den Schwindel nicht. Aber Ibsen. Als er unerwartet von einer Reise zurückkam, fand er seinen Stammplatz besetzt. Von sich selbst. Das war ihm Grund genug, dem Café Maximilian untreu zu werden.
Montag, 13. April 2009
Musik und Dichtung
"Wenn man den Grundunterschied der Musik und der Dichtkunst schlagend charakterisieren wollte, so müßte man darauf aufmerksam machen, wie die Wirkung der Musik vom Sinnenreiz, vom Nervenspiel beginnt und, nachdem das Gefühl angeregt worden, höchstens in letzter Instanz an das Geistige gelangt, indes die Dichtkunst zuerst den Begriff erweckt, nur durch ihn auf das Gefühl wirkt und als äußerste Stufe der Vollendung oder der Erniedrigung erst das Sinnliche teilnehmen läßt; der Weg beider ist daher gerade der umgekehrte. Die eine Vergeistigung des Körperlichen, die andere Verkörperung des Geistigen. Aus diesem theoretischen Unterschiede ergibt sich nun aber ein wichtiger praktischer, in bezug auf den Gebrauch des Häßlichen nämlich. Die Poesie darf das Häßliche (Unschöne) schon einigermaßen freigebig anwenden. Denn da die Wirkung der Poesie nur durch das Medium der unmittelbar von ihr erweckten Begriffe an das Gefühl gelangt, so wird die Vorstellung der Zweckmäßigkeit den Eindruck des Häßlichen (Unschönen) von vornherein in soweit mildern, daß es als Reizmittel und Gegensatz sogar die höchste Wirkung hervorbringen kann. Der Eindruck der Musik aber wird unmittelbar vom Sinn empfangen und genossen, die Billigung des Verstandes kommt zu spät, um die Störungen des Mißfälligen wieder auszugleichen. Daher darf Shakespeare bis zum Gräßlichen gehen, Mozarts Grenze war das Schöne."
Franz Grillparzer
Sonntag, 12. April 2009
Hasenschläue
Ein besonders gefährlicher Löwe verbreitete Angst und Schrecken. Da schickten die anderen Tiere eine Verhandlungsdelegation zum Löwen. Nach langer Beratung war der Löwe damit einverstanden, seine Opfer nicht mehr nach Willkür zu töten, sondern täglich dasjenige Tier zu verspeisen, das man ihm zu seiner Behausung schickte. Von da an wählten die Tiere jeden Tag eines der ihren aus, das sich für die anderen opfern musste. Als die Reihe an den Hasen kam, machte der sich nur sehr zögerlich auf den schweren Weg. Als er beim Löwen ankam, war dieser schon zornig vor Hunger. "Warum kommst du so spät," brüllte er den kleinen Hasen an. Der antwortete: "Was kann ich dafür? Ein anderer Löwe wollte mich unterwegs fressen. Er behauptet, er hätte ein Vorrecht. Ich musste ihm schwören zu ihm zurückzukehren, nachdem ich Ihnen Bescheid gesagt habe." Der Löwe war außer sich. "Ein Vorrecht? Unverschämtheit! Den Burschen nehme ich mir vor. Führ mich zu ihm!". Der Hase ging mit dem Löwen zu einem tiefen Brunnen. Der Löwe sah in den Brunnenschacht hinunter. Von tief unten im Wasser sah sein Spiegelbild herauf. Außer sich vor Zorn sprang der Löwe in den Brunnen. Nach kurzem Todeskampf ertrank er. Der Hase aber ging zu den anderen Tieren und sagte ihnen, er hätte den Löwen getötet. Niemand glaubte ihm. Nicht nur, weil es eine lächerliche Behauptung war. Die Nachricht, dass der böse Löwe einem Unfall zum Opfer gefallen war, hatte sie bereits erreicht.
Samstag, 11. April 2009
Halbherzig
Der deutsche Finanzminister hat dem Wahlvolk ein Osterei gelegt. In Zukunft, so sein Plan, muss jeder Großverdiener (über 500 000 Euro jährlich) jederzeit damit rechnen, dass im Morgengrauen drei Ledermäntelfahnder vor der Haustür stehen. Bislang setzt eine solche Nacht- und Nebelaktion konkrete Verdachtsmomente voraus. Das ist lästig, findet Herr Steinbrück. Er will jeden Erfolg-Reichen unter den Generalverdacht der Steuerhinterziehung stellen. Wahlpolitisch gut gedacht. Aber allzu halbherzig. Die Reichen-Gestapo ist ein Schritt in die richtige Richtung, aber ein viel zu zaghafter. Wenn die SPD die Linken links überholen will, muss sie schon mutigere Päne entwickeln. Warum nicht gleich alle Reichen enteignen und einsperren, ihre Kinder in Umerziehungsheime stecken und die erwachsenen Verwandten in Arbeitslager schicken? So macht man sich beliebt bei den krisengeschüttelten Wählern. Nur so wird die Ossifizierung Deutschlands vollendet.
Freitag, 10. April 2009
Umdenken
Unsere Schulen und Universitäten haben sich in den letzten 75 Jahren immer stärker der zunehmend auf Leistung, Wettbewerb und Spezialisierung ausgerichteten Gesellschaft angeglichen. Eine der Chancen der gegenwärtigen Krise könnte sein, dass sich der Prozess endlich wieder umgekehrt. Vielleicht ist man bald nicht mehr so schnell dabei, das Ideal einer allseitigen Charakterbildung als altmodische Marotte zu belächeln. Der gute alte Humboldt sollte wieder zur Leitfigur deutscher Bildung werden, damit von Schulen und Universitäten eine Erneuerung der Gesellschaft ausgehen kann. Was wir brauchen sind keine Leistungsmaschinen, sondern Persönlichkeiten. Was Wilhelm von Humboldt forderte, gilt heute mehr denn je: Not tut „die Anregung aller Kräfte des Menschen, damit diese sich über die Aneignung der Welt entfalten und zu einer sich selbst bestimmenden Individualität und Persönlichkeit führen".
Donnerstag, 9. April 2009
Eitelkeit
"Es ist merkwürdig dass ich seit so vielen Jahren fast nie mehr das leiseste Bedürfnis empfunden habe, Tagebuchaufzeich-nungen zu machen. In der allerersten Zeit in Berlin, als ich damit anfing auf Zettel Gedanken über mich aufzuschreiben, da war es ein Bedürfnis. Es war ein für mich wichtiger Schritt. Später entsprang es zum Teil dem Nachahmungstrieb (ich hatte Kellers Tagebücher gelesen) zum Teil dem Bedürfnis doch etwas von mir niederzulegen. Es war also zum grossen Teil Eitelkeit."
Ludwig Wittgenstein
Mittwoch, 8. April 2009
Worte, nichts als Worte!
"Nur weil der Gedanke, um zu erscheinen, wie jene flüchtigen, undarstellbaren, chemischen Stoffe, mit etwas Gröberem, Körperlichen, verbunden sein muß: nur darum bediene ich mich, wenn ich mich dir mitteilen will, und nur darum bedarfst du, um mich zu verstehen, der Rede. Sprache, Rhythmus, Wohlklang usw., und so reizend diese Dinge auch, insofern sie den Geist einhüllen, sein mögen, so sind sie doch an und für sich, aus diesem höheren Gesichtspunkt betrachtet, nichts, als ein wahrer, obschon natürlicher und notwendiger Übelstand; und die Kunst kann, in bezug auf sie, auf nichts gehen, als sie möglichst verschwinden zu machen."
Heinrich von Kleist
Dienstag, 7. April 2009
Lachhaft
Wie in fast allen seinen Filmen spielt Woody Allen auch in Hanna und ihre Schwestern einen Stadtneurotiker. Seine Erleichterung darüber, dass sich die Entdeckung eines vermeintlichen Hirntumors bei ihm als Irrtum herausstellt, weicht rasch einer tiefen Depression. Er fragt nach dem Sinn des Lebens. Und wie Tolstoi ist er der Ansicht, dass der Mensch nur eines ganz sicher wissen kann, nämlich dass das Leben sinnlos ist. Eine wahrlich niederschmetternde Einsicht. Aber man lacht. Warum bloß? Vermutlich, weil die bodenlose Depression an dieser Stelle des Films als Übertreibung verstanden wird. Übersteigerte und womöglich neurotische Obsessionen finden wir lustig. Für den, der sie hat, sind sie grauenhaft. Vom Tragischen zum Komischen ist es nur ein Schritt, und zwar der vom Betroffenen zum Beobachter. Wie Komik funktioniert, lässt sich an diesem Beispiel diskutieren. Ganz begreifen kann man es nicht. Das Thema wäre einen Uni-Lehrstuhl wert.
Montag, 6. April 2009
Widerwärtiges Selbstbewusstsein
Der gestrenge Leo Tolstoi hatte zu vielen und allem eine Meinung. Auch über die Deutschen fällte er sein Urteil: "Bei dem Deutschen ist das Selbstbewußtsein schlimmer, hartnäckiger und widerwärtiger als bei allen andern. Der Deutsche bildet sich ein, die Wahrheit zu kennen." Tolstois Fähigkeit, ein derart apodiktisches Pauschalurteil zu fällen, beruhte zweifellos auf einem stark ausgeprägten Selbstbewußtsein. Offenbar war er nur zufällig Russe, seinem ganzen Wesen nach aber einer dieser grässlichen Deutschen.
Sonntag, 5. April 2009
Gute Antwort
Nach seinem Hamburger Konzert erschien Peter Maffay vor Pressevertretern. Darunter war eine eine dieser schmallippigen kühlen Blondinen um die 40, die derzeit in allen Medien das große Wort führen. Sie fragte den Star der kleinen Leute, wie er denn sein Publikum so sehe. Das seien doch überraschend primitive und nicht gerade ansehnliche Leute, "auch so vom Alter her und vom Outfit." Maffay sah sie streng an und biss auf der Unterlippe herum. Dann sagte er nur: "Menschen." Die blonde Altabiturientin verzog den Mund. Maffay sagte: "Das waren Menschen. Vor Ihnen, hinter Ihnen und neben Ihnen." Sie versuchte es mit einem Einwand: "Ja, klar, aber ich meine...". Maffay unterbrach sie: "Ich sage Ihnen, und ich bin mir da ziemlich sicher: Es waren Menschen."
Samstag, 4. April 2009
Schweigepflicht
Samuel Goldwyn wollte, dass Ben Hecht ihm ein Drehbuch schreibt. Hecht, der wohl erfolgreichste Drehbuchautor Hollywoods, verlangte zweierlei: Niemand sollte ihn bei der Ausarbeitung drängen, und Goldwyn sollte ihm jede Woche 5000 US-Dollar zahlen. Nach heutigem Geldwert waren das in den späten 30er Jahren mehr als 100 000 Dollar. Die Drängelei verhinderte eine Klausel, die Goldwyn und seinen Leuten verbot, Ben Hecht in irgendeiner Form zu kontaktieren während der Entwicklungszeit. Zwei Wochen vergingen und Hecht meldete sich nicht. An jedem Montag ließ sich Hecht die 5000 Dollar auszahlen. Nach fünf Wochen und 35000 Dollar rief Samuel Goldwyn bei Hecht zuhause an. "Dies ist ein rein privater Anruf," begann er. Worauf Hecht ihn unterbrach: "Damit ist unser Deal geplatzt." Die 35000 Dollar gehörten ihm; ein Skript lieferte er nicht. Goldwyn kochte vor Wut. Leider war Ben Hecht so gut, dass Goldwyn ihn nicht auf Dauer anderen Studios überlassen konnte. Zwei Wochen später machten sie ein neues Deal.
Freitag, 3. April 2009
Unfallursache
Ein Ehepaar aus New York will ins Theater fahren. An der Kreuzung Park Avenue/53rd Street fährt das Taxi in eine Bauabsperrrung. Statt sich zu entschuldigen, schimpfte der Fahrer auf seine Fahrgäste. Sie seien schuld. Auch das noch! Die beiden hatten schon genug Ärger vor der Abfahrt. Wenn sie ausgehen, müssen sie ihre Katze in den Innenhof ihres Townhauses sperren. Sonst können sie nicht den Bewegungsmelder anstellen. An diesem Abend waren sie rechtzeitig fertig geworden. Die Katze war draußen im Hof, sie hatten sich fein gemacht, im Haus brannte Licht. Das bestellte Taxi hupte. Sie öffnen also die Tür, um zu gehen . Da – wutsch – rennt die Katze wieder in die Wohnung. Der Mann jagt der Katze hinterher die Treppen hoch, die Frau geht schon mal raus. Während sie im Taxi wartet, sagt sie dem Fahrer, ihr Mann würde ihrer Mutter Gute Nacht sagen. Wir sind nämlich in Manhatten, und sie will nicht verraten, dass das Haus an diesem Abend leer ist. Endlich kommt ihr Mann aus dem Haus und steigt in den Wagen. Während der Fahrt durch den dichten Verkehr berichtet er „Tut mir leid, dass es gedauert hat. Sie hatte sich unterm Bett versteckt. Ich musste sie mit einem Kleiderhaken rauszwingen. Beinah wäre sie mir wieder abgehauen, aber ich hab sie am Hals erwischt und festgehalten. Natürlich hat sie wie wild gezappelt und gekratzt, um sich zu befreien. Ich musste sie in eine Decke wickeln. War ein Kampf, bevor ich sie mit ihrem fetten Hintern vor die Tür setzen und in den Hof sperren konnte...“ In diesem Augenblick krachte das Taxi in die Absperrung.
Donnerstag, 2. April 2009
Europasorgen
Die Welt steckt in einer tiefen Krise. Millionen von Europäern sorgen sich um ihre Arbeitsplätze, ihre Altersversorgung, ihre Kreditverpflichtungen, die Zukunft ihrer Kinder. Die Europabehörden haben andere Sorgen. Nachdem sie die Normlänge der Bananen und die erforderliche Krümmung von sauren Gurken festgelegt und die Ersetzung der warmleuchtenden Glühbirnen durch kalte Halogenleuchten verordnet haben, wollen sie jetzt die europäischen Sprachen auf Vordermann, Pardon, in die politische Korrektheit bringen. Jahrelang hat sich eine "hochrangige" Arbeitsgruppe unter der Leitung von acht Vizepräsidenten mit "der Anleitung für eine geschlechtergerechte Sprache" beschäftigt. Nach endlosen Diskussionen und Bergen von bedrucktem Papier ist man zu folgender Erkenntnis gekommen: "In manchen Sprachen ist das Element Mann in Ausdrücken enthalten, mit denen Frauen ebenso gemeint sind wie Männer: Fachmann, Staatsmann, Seemann." Das zu ändern, ist die Absicht der Europabürokratie. "Mit etwas Bemühung und Umsicht lässt sich zumeist eine auf die Geschlechter bezogene neutrale Ausdrucksweise finden", werden wir belehrt. Darum soll in offiziellen Texten etwa das Wort "Fahrer" durch "fahrendes Personal", der Begriff "Polizist" durch "Polizeikraft" und die Bezeichnung "Lehrer" durch "Lehrkraft" ersetzt werden. Diese zukunftsweisende Maßnahme wird sicher die Sympathie für die europäische Einigung sprunghaft erhöhen. Oder?
Mittwoch, 1. April 2009
Schriftstellerlos
"Was genau in den Kursen für kreatives Schreiben gelehrt wird, weiß ich nicht. Aber sie beschönigen die Sache, wenn sie nicht klar machen, dass Schreiben erstens harte Arbeit ist, und dass man ihm zweitens einen großen Teil des Lebens, nämlich das eigene, opfern muss."
Doris Lessing
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