Jahrzehntelang wurde uns eingeredet, wir müssten viel Vitamin C zu uns nehmen, um gesund zu bleiben. Jetzt haben Wissenschaftler der Harvard-Universität in Boston nachgewiesen, dass das ein katastrophaler Ratschlag gewesen ist. Vitamine, die als sogenannte Antioxidantien wirken, fördern Krebs. Die Substanzen entfalten die gleiche Wirkung im Körper wie ein berüchtigtes Krebsgen. Auf dem Chemienobelpreisträger Linus Pauling gründet sich die Empfehlung, die besagt, wer alt werden will, der sollte freie Sauerstoffradikale in den Zellen mit Vitamin C unschädlich machen. Die These hält sich bis hartnäckig bis heute: In Deutschland schluckt jede dritte Frau und jeder fünfte Mann hochangereicherte Kapseln, Pulver oder Brausetabletten, ohne dass sie es nötig hätten. Jetzt ist klar erwiesen, dass das nicht nur sinnlos, sondern schädlich ist. Obst dürfen wir weiter essen. Es allerdings ist trotz der Antioxidantien gesund, nicht wegen ihnen.
Montag, 31. August 2009
Sonntag, 30. August 2009
Kritik
"Das Leben ist ein nicht besonders gut geschriebenes Theaterstück mit einem miserablen dritten Akt."
Truman Capote
Samstag, 29. August 2009
Rätselhaft
Am 31. Juli 1969 raste ein weißes Mercedes Coupé über die Landstraße 149 in Schleswig-Holstein in nördlicher Richtung. Am Steuer war eine junge Frau, auf dem Beifahrersitz saß ihre Mutter, auf dem Rücksitz ihr 6jähriger Sohn. Sie waren unterwegs nach Sylt, wo sie ein paar Urlaubstage verbringen wollten. Nahe Tellingstadt kreuzte die Bundesstraße 203 ihre Route. Vier große Stopp-Schilder wiesen auf die Vorfahrt des querenden Verkehrs hin. Doch der Mercedes verlangsamte nicht die Fahrt, im Gegenteil, die Fahrerin gab offenbar noch Gas. Sekunden später prallte ihr Wagen mit voller Wucht auf einen 32-Tonner Lkw. Nur der kleine Junge überlebte den schweren Unfall. Bis heute ist er unerklärbar. Niemand würde noch darüber reden, wenn es sich bei der jungen Frau am Steuer nicht um eine außergewöhnliche Schlagersängerin am Beginn einer großen Karriere gehandelt hätte. Sie hatte bis zu jenem tragischen Tag erst rund sechzig Lieder eingesungen, doch sie ist bis heute unvergessen. Ihr Name: Doris Nefedov, besser bekannt als Alexandra.
Freitag, 28. August 2009
Kastratenleid
Im Kirchenstaat Rom durften Frauen nicht in Opern auftreten. Die Frauenrollen übernahmen Kastraten. Viele Italiener hofften auf einen einfachen Weg zum Reichtum, indem sie einen ihrer Söhne zu einer solchen Karriere bestimmten. Die Prozedur war grausam. Der zum Kastraten bestimmte Knabe wurde mit Opium betäubt und in heißes Wasser gesetzt. Zwei Männer hielten ihn fest, zwei weitere assistierten dem Operateur. Allerdings wurden nur wenige der kastrierten Sänger zu Stars. Allen aber drohte das psychische Elend von Menschen, die anders sind als die meisten. Es war den Kastraten verboten zu heiraten. Einer der Unglücklichen wollte päpstlichen Dispens. Er sei durchaus in der Lage, schrieb er, die Ehe zu vollziehen; die Operation sei bei ihm nicht radikal durchgeführt worden. Die trockene Antwort von Papst Innozenz am Rande des Briefes: „Che si castri meglio (kastrier er sich besser!)“. Nachzulesen in „Engel wider Willen“ von Hubert Ortkemper (1993).
Donnerstag, 27. August 2009
Beobachtung
Alles wahrhaft Göttliche ist gutmütig. Der Blick des Tieres, die Musik Mozarts, das Licht der Sterne.
Mittwoch, 26. August 2009
Zensiert
Nachdem die dänische Zeitung "Jyllands Posten" Karikaturen veröffentlicht hatte, in denen der Prophet Mohammed dargestellt wurde, war es bekanntlich zu teilweise tödlich verlaufenden Protesten gekommen. Die in den USA lehrende Universitätsprofessorin Jytte Klausen verfasste nun eine wissenschaftliche Untersuchung diesen Karikaturen-Streits des Jahres 2005. Ihr Verlag Yale University Press weigerte sich jedoch, die inkriminierten und andere, zum Vergleich herangezogene Zeichnungen abzudrucken. Die Erklärung: Man befürchte Gewaltaktionen gegen Verlag, Autorin und amerikanische Einrichtungen. Der Präsident der Amerikanischen Vereinigung der Universitätsprofessoren ist empört. "Wir verhandeln nicht mit Terroristen,“ kommentiert er den Vorfall, „wir beugen uns gleich ihren erwarteten Forderungen“. Es geht um eine Frage, die alle angeht: Darf Intoleranz und Terrorangst dazu führen, dass Selbstzensur die Meinungsfreiheit in demokratischen Gesellschaften aushöhlt?
Dienstag, 25. August 2009
Onlinefreiheit
Bands, Autoren, Solisten und Privatproduzenten müssen nicht mehr bei Tonträgerfirmen antichambrieren, um ihre Songs veröffentlicht zu bekommen. Die Plattform Ampster.net bietet ihnen ein faires Deal. Man lädt seine Aufnahmen hoch, und diese werden dann auf Online-Musikshops wie iTunes, Amazon und Musicload angeboten. Von den 99 Cent, die ein Titel auf iTunes kostet, erhält man 57 Cent. Die GEMA wird außerdem bezahlt. Von Ampster wird keine Vorabgebühr verlangt, sondern eine Umsatzbeteiligung. Nähere Angaben bei http://www.ampster.net/howto
Montag, 24. August 2009
Trivial
"Es ist in Deutschland leichter, ein öffentliches Amt wegen überzogenen Dienstwagengebrauchs oder falsch verbuchten Flugmeilen zu verlieren als für Parteispendenaffären oder gar desaströser Politik...Die Dauerunterstellung des trivialsten Motivs – als würde man dicker Dienstwagen wegen zum Politiker – etabliert am Ende ein Bild vom Politiker, das tatsächlich einmal Wirklichkeit werden könnte."
Gustav Seibt in der SZ vom 22. August 2009
Sonntag, 23. August 2009
Hühnerdiebe
Jede untergehende Branche sucht den Grund für ihr Dahinscheiden in äußeren Umständen. Der Tonträgerindustrie ist noch etwas Besseres eingefallen. Sie zieht die Moralkarte, und das darf man ihr nicht durchgehen lassen. Neuerdings spielt sie sich als Beschützer von Künstlern und Autoren auf, die durch das unerlaubte Herunterladen von Musiktiteln im Internet geschädigt werden. Das ist so, als würde der Hühnerdieb den Füchsen vorwerfen, dass sie Hühner stehlen. Solang die Tonträgerbranche florierte, waren ihr die Interessen von Künstlern und Autoren vollkommen gleichgültig. Im Gegenteil. Sie hat sich am Urheberrecht bereichert, indem sie die Veröffentlichung von Titeln davon abhängig machte, dass sie über Inkassoverlage an den GEMA-Einnahmen partizipieren. Auf die Weise stahlen sie den Urhebern bis zu 50 % ihres Anteils und holten sich einen guten Teil der Gebühren, die sie als Verwerter zu bezahlen hatten, wieder zurück. Auch die Interpreten und (künstlerischen) Produzenten wurden nach Möglichkeit kurz gehalten, etwa durch undurchsichtige Lizenzvereinbarungen und schwer durchschaubare Abrechnungstricks. Es gehört schon Chuzpe dazu, sich jetzt als Verteidiger von Künstlern und Autoren aufzuspielen. Die Leistung der Tonträgerindustrie bestand in den letzten 20 Jahren fast ausschließlich darin, Musikaufnahmen zu vertreiben (oder ihren Vertrieb zu verhindern). Als Vertriebsorganisation ist sie jedoch weitgehend redundant geworden, seit es das Internet und Amazon gibt. Hätte Arroganz und rückwärts gewandtes Marketingdenken sie nicht blind gemacht, wäre es nicht schwer gewesen, die neuen Vertriebswege zu integrieren. Jetzt ist es zu spät. Die alten "Schallplattenfirmen" wird es bald nicht mehr geben. Künstler und Autoren werden überleben. Gegen den Raub ihrer Rechte werden sie sich immer wieder verteidigen müssen. Aber die Räuber von Gestern sind als Bundesgenossen im Kampf gegen die Räuber von Heute und Morgen entbehrlich.
Samstag, 22. August 2009
Verachtenswert
Der jüdische Philosoph Hermann Cohen war voll Verachtung für die zionistische Bewegung. Seine Antipathie für das Bestreben, einen jüdischen Nationalstaat in Palästina zu errichten, hatte aber weder politische noch religiöse, sondern gewissermaßen philosophische Gründe. In der Diskussion nach einer Erläuterung seiner Ablehnung von Birnbaums und Herzls Bestrebungen gefragt, antwortete er entrüstet: "Pahh! Die Lumpen wollen glücklich sein!"
Freitag, 21. August 2009
Anschluss
Die "Heimführung seines Geburtslandes Österreich" durch Hitler im März 1938 war eine Katastrophe für die jüdisch geprägte Kultur Wiens. "Was hier entfesselt wurde," schreibt der Zeitzeuge Varl Zuckmayer, "war der Aufstand des Neids, der Missgunst, der Verbitterung, der blinden, böswilligen Rachsucht. Hier war nichts losgelassen als die dumpfe Masse, die blinde Zerstörungswut. Es war ein Hexensabbat des Pöbels." Wie überall, gab es auch in Österreich viele Anständige. Aber sie waren nicht in der Lage, sich gegen die Pogromstimmung der ewig Unzufriedenen zu stemmen. Diese bilden in Wien traditionell die Mehrheit.
Donnerstag, 20. August 2009
Vergessen
Über die Schicksale der „kulturellen Elite“ Wiens wissen wir gut Bescheid. Roth, Werfel, Broch und Zweig, Schönberg, Popper, Gödel und Wittgenstein haben ihre Biografen gefunden. Weniger bekannt ist, was mit denen geschah, die die Lieder und Operetten geschaffen haben, an die man bis heute denkt, wenn von Wien die Rede ist. Der Texter von „Ich hol dir vom Himmel das Blaue“ (Musik: Franz Léhar) brachte sich 1938 um. Leo Ascher („Hoheit tanzt Walzer“) entkam nach England. Jean Gilbert alias Max Winterfeld („Puppchen, du bist mein Augenstern“) starb in Buenos Aires. Paul Abraham („Viktoria und ihr Husar“) gelang die Flucht, aber endete im Irrenhaus. Paul Morgan („Wer wird denn weinen, wenn man auseinandergeht“) brach beim Strafexerzieren im KZ Buchenwald tot zusammen. Der Librettist Bela Jenbach („Zarewitsch“, „Csárdásfürstin“) verhungerte in seinem Wiener Kellerversteck. Leopold Jacobson („Ein Walzertraum“) endete in einer Gaskammer von Auschwitz. Auch Fritz Löhner („Die Dollarprinzessin“) wurde in Auschwitz ermordet, so wie der zu Unrecht vergessene Kabarettist Fritz Grünbaum („Ich hab das Fräuln Helen baden sehn“/„Draußen in Schönbrunn“), dem österreichische Nazis nach der Verhaftung die Zunge herausrissen.
Mittwoch, 19. August 2009
Eigensinnig
Zu den merkwürdigsten Erfahrungen eines Autors gehört, dass seine Figuren einen eigenen Willen entwickeln. Sie fangen irgendwann an, ihrem Schöpfer zu sagen, was sie wollen und vor allem, was sie nicht wollen. Auch Quentin Tarantino hat das erlebt, namentlich mit seinen starken Frauen. In einem SZ-Interviewt gesteht er: "Ich kann diese Frauenfiguren nicht dazu bringen, dass sie tun, was ich will. Ich lasse sie nie durch brennende Reifen springen, ich dressiere sie nicht. Wenn ich mit ihnen Verbindung aufgenommen habe und es gut läuft, treffen sie ihre eigenen Entscheidungen, und ich bin nur der Protokollführer. So war das mit Shosanna (Mélanie Laurent) in "Inglourious Basterds": Ich habe sie auf den Weg gebracht, aber ich konnte sie nie irgendwo hinschicken. Wenn ich eine Vorstellung davon hatte, wo sie hin soll, und sie kam dort nie an, dann hat sie mir damit eben gesagt, dass ich mich geirrt habe - dann hatte ich eine blöde Idee, und sie hat mich vor ihr bewahrt."
Dienstag, 18. August 2009
Künstlerische Erkenntnis
"Es ist eine Sache, Opfer zu bringen, um etwas kreativ zu erschaffen. Eine andere ist es, sich darüber klar zu werden, dass das Erschaffen von etwas Eigenem ein gewisses Leiden voraussetzt. Wer erkennt, dass dieses Leiden eines der größten Geschenke Gottes ist, hat beinahe schon die mystische Antwort auf das Problem des Bösen in der Welt gefunden."
John William Navin Sullivan (1886-1937)
Montag, 17. August 2009
Schöne Neue Welt!
Unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit hat die Wissenschaft einige kühne Fantasien eingeholt. Die "Synthetische Genomik" ist keine Idee eines Sci-Fi Autors, sondern ein rasch an Bedeutung gewinnender Zweig der bio- medizinischen Forschung. Der Name meint tatsächlich, was er besagt: die biotechnische Produktion neuer Gene zwecks Erschaffung völlig neuer oder ausgestorbener Lebewesen. Ziel ist zunächst die Entwicklung von medizinischen Mikro-Organismen, die gegen Infektionen und andere Krankheiten eingesetzt werden können - Antiviren, Antibakterien und Tumorkiller-Mikroben. Mittelfristig arbeitet man an der Versorgung der Medizin mit "personalisierten Genomen", die für jeden Patienten maßgeschneidert werden und sehr viel wirksamer sein werden als pharmazeutische Mittel. Fernziel ist die künstliche Herstellung komplexer Lebewesen. Die Reproduktion eines Dinosauriers oder Neanderthalmenschen wird laut J. Craig Venter, einem Pionier der Humangenomik, schon in wenigen Jahren möglich sein. Klingt alles unglaublich. Aber schwer zu glauben ist auch, was die synthetische Genomik bereits heute leistet: Sie hat Algen hergestellt, die Erdöl produzieren.
Sonntag, 16. August 2009
Schlaue Vögel
Rabenvögel werden vom Menschen gewöhnlich übersehen oder unterschätzt. Dabei gehören sie zu den intelligentesten Tieren. Wie Papageien sind sie in der Lage, die menschliche Sprache nachzuahmen und einzelne Worte zu verstehen. Sie lernen aus Erfahrungen, passen sich an, geben Gelerntes weiter. Als die Polizei von Tokio begann, Krähennester mit scharfen Wasserstrahlen zu zerstören, gingen die Rabenvögel umgehend dazu über, ihre Nester aus dicken Drähten zu bauen. Ihre bevorzugte Beute sind seitdem die Drahtbügel auf den Balkonen, wo die Japaner gerne ihre Kleidung auslüften. In anderen Großstädten kann man Raben beobachten, die Nüsse auf belebte Straßen werfen, damit diese von vorüberfahrenden Autos geknackt werden.
Samstag, 15. August 2009
Jammern nützt nichts
Zu oft hört man, warum etwas nicht geht. Solche Erklärungen sind verlorene Zeit, wenn sie nicht dazu dienen, einen Weg zur Lösung des Problems zu finden. Noch sinnloser sind Entschuldigungen. Niemand hat es kürzer und treffender gesagt als Henry Ford: "Don't find fault, find a remedy."
Freitag, 14. August 2009
Indianerklage
„Die Weißen verderben unser Land. Sie machen die ganze Natur seufzen. Sie schneiden die Kräuter mit langen Messern, sie verderben die Kräuter, und die Kräuter weinen. Sie töten die Bäume mit mörderischen Eisen. Sie tun den Bäumen unrecht, und die Bäume weinen. Sie reißen die Eingeweide der Erde auf. Sie tun der Erde weh, und die Erde weint. Sie vergiften das Wasser unserer klaren Flüsse und machen es trübe, die Fische sterben. Die Fische und Flüsse weinen, die Erde weint, die Wiesenkräuter weinen – ja, die ganze Natur machen die Weißen weinen. Oh die Undankbaren. Auch sie wird Strafe ereilen.“
Klagelied der Kickapoo-Indianer
Donnerstag, 13. August 2009
Bettelkomponist
In dem oberbayerischen Sozialdorf Herzogsägmühle, das die Diakonie betreibt, lebt der amerikanische Komponist Gordon Sherwood. Mit 79 Jahren blickt er auf ein wahrhaft bewegtes Leben zurück, das verheißungsvoll begann. Schon mit 28 erreichte es einen Höhepunkt, als in der New Yorker Carnegie Hall Sherwoods Erste Symphonie uraufgeführt wurde. Danach reiste der Komponist ruhlos durch die Welt. In Hamburg, Rom und Nairobi erhielt er Auszeichnungen, in Israel saß er wegen Diebstahls im Gefängnis, in Beirut war er Barpianist, aus London wurde er wegen fortgesetzten Bettelns ausgewiesen und in New York hauste er im Obdachlosenheim. Auch glücklich verheiratet war er, bis er seine Frau in Kenia in eine Bibiothek schickte und ihre Abwesenheit benutzte, um zum Flughafen zu fahren und nach Indien zu verschwinden. „Sie hatte verlangt, ich solle einen normalen Beruf ausüben und das Komponieren lassen“, begründet Sherwood seine Flucht. Für ihn gab es nur die Musik, und da sie ihn nicht ernährte, schlug er sich mit Bettelei und Bagatelldiebstählen durch. Auch unter den Stadtstreichern war er freilich ein Sonderling. An Selbstbewusstsein fehlte es ihm nie. Einem Journalisten, der vor zwei Jahren nach Herzogsägmühle kam, stellte er sich so vor: „Ich bin der berühmteste aller unbekannten Komponisten.“
Mittwoch, 12. August 2009
Sonnengleich
„Wenn die Sonne nicht auf Lob und Bitten wartet, um aufzugehen, sondern eben leuchtet und von der ganzen Welt begrüßt wird, so darfst auch du weder Schmeichelei noch Beifall brauchen, um Gutes zu tun. Aus dir selbst heraus mußt du es tun: Dann wirst du wie die Sonne geliebt werden.”
Epiktet (50-138 n.C.)
Dienstag, 11. August 2009
Zweck des Höhenflugs
Gotthold Ephraim Lessing fragt sich in seiner Fabelsammlung, was man zu Schriftstellern sagen soll, die sich sprachlich so weit vom Leser entfernen, dass man nicht mehr weiß, was sie eigentlich meinen. Seine Antwort: "Was sonst, als was die Nachtigall einst zu der Lerche sagte: Schwingst du dich, Freundin, nur darum so hoch, um nicht gehört zu werden?" Das Bild passt nicht nur auf Dichter, sondern auf alle Künstler, die sich für unerreichbar halten, weil sie unverständlich sind. Ein Erfolgsrezept, dass vor Kritik schützen mag. Eine Methode, die Ansehen verschafft - denn wer bewundert nicht, was unerreichbar scheint. Aber doch unbefriedigend. Denn das brennendste Bedürfnis jedes Künstlers ist es, verstanden zu werden.
Montag, 10. August 2009
Schreibregel
"Die erste und schon für sich allein beinahe ausreichende Regel des guten Stils ist diese, dass man etwas zu sagen habe. O, damit kommt man weit!"
Arthur Schopenhauer
Sonntag, 9. August 2009
Inselsuche
Es gibt magische Orte auf dieser Welt, Orte, wo die Gedanken still stehen, die Angst schweigt und die Sehnsucht nichts mehr will. Jeder von uns kennt sie. Die bewusste Suche nach diesen zauberischen Plätzen ist allerdings meist vergebens. Urlaubsflieger und Kreuzfahrtschiffe bringen uns selten hin. Unabsichtlich und zufällig entdecken wir sie, diese Inseln der inneren Stille. Nicht immer in der Natur. Oft auch auf einem verkehrsumrauschten Großstadtplatz, einem viel besuchten Park oder - in einem Gebäude. Ja, gut bestrahlten Architekten gelingt es zuweilen, Räume mit dieser magischen Wirkung zu schaffen. Einmal gefunden, führt unser Weg immer wieder an solche Orte zurück. Wir brauchen sie, um uns selbst nahe zu sein.
Geistesverwandtschaft
"Ich habe nicht gewusst, wie Hofmannsthals Hingang mich schmerzen werde, noch habe ich ganz verstanden, was uns zusammenführte und durch die Jahrzehnte zusammenhielt. Das Wort Freundschaft bedürfte heute seiner Genehmigung. Aber trotz aller Unterschiede der Geburt, der Überlieferung und Lebensstimmung nenne ich, sehend gemacht durch den Tod, die Wahrheit bei Namen, wenn ich von Brüderlichkeit, von Schicksalsverwandtschaft spreche. Wären wir beide weniger schwierig gewesen!"
Thomas Mann 1929
Samstag, 8. August 2009
Gnadenbrot
Für Betrüger empfinden kreative Menschen zuweilen Bewunderung, aber nur selten Sympathie. Doch es fällt schwer, Leute Verbrecher zu nennen, die voll funktionstüchtige Autos statt in die Schrottpresse ins Ausland schicken. Schließlich haben auch Autos ein Gnadenbrot verdient. Dass diese nützlichen Wesen grausam verschrottet werden, obwohl sie bereit und fähig sind, noch gute Dienste zu leisten, ist das eigentliche Unrecht. Zumal das nur geschieht, um die Überproduktion der Automobilhersteller künstlich aufrecht zu erhalten. Auf der anderen Seite gibt es durch den Verkauf nach Russland oder in den Balkan keine Geschädigten. Sogar die Schrotthändler haben einen Vorteil, denn der Preisverfall ihrer Ware wird leicht gedämpft. Selten war ein Betrug entschuldbarer.
Freitag, 7. August 2009
Frech
"Es gibt keinen klar formulierten Unterschied zwischen Mythen und wissenschaftlichen Theorien. Die Wissenschaft ist eine der vielen Lebensformen, die die Menschen entwickelt haben, und nicht unbedingt die beste. Sie ist laut, frech, teuer und fällt auf. Grundsätzlich überlegen ist sie aber nur in den Augen derer, die bereits eine gewisse Position bezogen haben oder die die Wissenschaften akzeptieren, ohne jemals ihre Vorzüge und Schwächen geprüft zu haben. Und da das Annehmen und Ablehnen von Positionen dem Einzelnen oder, in einer Demokratie, demokratischen Ausschüssen überlassen werden sollte, so folgt, dass die Trennung von Staat und Kirche durch die Trennung von Staat und Wissenschaft zu ergänzen ist."
Paul Feyerabend
Donnerstag, 6. August 2009
Gerechtigkeit
Einer der schrecklichsten Nazischergen unter den Millionen willigen deutschen Juristen war Manfred Roeder. Als Staatsanwalt betrieb er im Dritten Reich die Verurteilung von heimlichen und offenen Hitlergegnern zu grausamen Todesstrafen. Seine Spezialität war die Erpressung von Geständnissen und Denunziationen durch Folter. Für all das kam er nach Kriegsende unter die Hauptangeklagten des Nürnberger Prozesses. Die Todesstrafe schien ihm sicher. Doch am 23. Dezember 1947 befreite die CIC der US-Armee Roeder aus der Nürnberger Haft und unterband seine weitere Verfolgung. Der amerikanische Geheimdienst war darauf gekommen, dass viele der von Roeder verfolgten Widerständler Kommunisten waren. Nun sollte er ihnen helfen, weitere Kommunisten aufzuspüren. Ab sofort galt er als entnazifiziert. Zweifellos entsprach das der Auffassung dieses aufrechten Juristen von Gerechtigkeit. Er lebte als angesehener Bürger und aktives Mitglied der CDU bis 1971 in Glashütten im Taunus.
Mittwoch, 5. August 2009
Fenster zum Park
In einem Krankhaus teilten zwei schwerkranke Männer ein Zweibettzimmer. Der eine war unfähig aufzustehen, doch der andere konnte sich aufrichten und, da sein Bett am Fenster stand, nach draußen sehen. Keiner der Beiden erhielt Besuch. Um den Leidensgenossen von seinen Schmerzen abzulenken, erzählte ihm der Mann am Fenster täglich, was er draußen sah. Da sei ein Park, sagte er, in dem Kinder spielten, eine Bank, auf der Verliebte säßen, eine alte Dame, die Tauben füttere. Im Laufe der Zeit wurden diese Leute im Park vertraute Bekannte, und der ans Bett gefesselte Kranke freute sich jeden Morgen auf die Schilderung ihrer kleinen Erlebnisse. Seine Tage wurden länger und grauer, als der Mann im Fensterbett eines Morgens nicht mehr aufwachte. Das zweite Bett blieb lange leer. Irgendwann bat der verbliebene Kranke die Krankenschwester, ihm zu sagen, was im Park vor sich gehe. "In was für einem Park?", fragte sie. Das Fenster ging auf einen Innenhof, in dem die Abfallcontainer des Krankenhauses standen.
Dienstag, 4. August 2009
Wunderkind-Concerto
Im Mozarteum Salzburg wurden zwei ohne Autorenbezeichnung überlieferte Klavierstücke als unbekannte Werke des 7-8jährigen Wolfgang Amadé Mozart identifiziert. Es handelt sich um einen umfangreichen Konzertsatz und ein Präludium, die sich am Ende des sogenannten Nannerl-Notenbuchs befinden, das Leopold Mozart 1759 für seine achtjährige Tochter Maria Anna („Nannerl“) anlegte und das auch für den Klavierunterricht von Wolfgang herangezogen wurde. Vermutlich sind diese Werke des Wunderkinds die Kompositionen, die Johannes Andreas Schachtner, ein Freund der Familie Mozart in einer Anekdote erwähnt. Danach zeigte Wolferl seinem Vater ein Notenblatt mit dem kindlichen Versuch, eine eigene Komposition aufzuschreiben. Zuerst lachten Schachtner und Leopold Mozart darüber. Dann aber sah sich der Vater das Geschreibsel genauer an. Tränen rannen über seine Wangen. Der kleine Komponist spielte ihm die Komposition vor, und Leopold notierte sie korrekt auf. "Das ist so kompliziert," sagte er, "das wird kaum jemand spielen können." Das Wolferl antwortete:"Deswegen ist es ein Concerto. Man muss es üben, bis man's kann."
Zu hören auf der Mozarteum-Webseite.
Montag, 3. August 2009
Falsches Konkurrenzdenken
"Als Hamburg sich zur deutschen Musical-Hauptstadt entwickelte, waren die meisten sehr skeptisch, ob diese Musicals – es begann vor fast 30 Jahren mit „Cats“ im städtischen Operettenhaus an der Reeperbahn – unseren ehrwürdigen Traditionshäusern nicht die Zuschauer wegnehmen würden. Doch welch mangelndes, mausiges Selbstvertrauen sprach aus diesen Befürchtungen! Mozart gegen Andrew Lloyd Webber? Tschechow gegen Kunze? Wieso hatten wir vor diesem Wettbewerb solche Angst? Die Angst war unbegründet. Meine damalige Theorie, dass sich viele Musicalhäuser auf die allgemeine Theatertemperatur Hamburgs, das ja nicht arm an Theatern ist, positiv auswirken würde, fand ihre entsprechende Realität. Kein Zuschauer blieb weg, weil er im Thalia Webber-süffigen Puccini-Verschnitt vermisste."
Jürgen Flimm im Berliner Tagesspiegel vom 02.08.2009
Sonntag, 2. August 2009
Zuschauers Tugend
"Das Kunstwerk soll den Zuschauer beherrschen: nicht der Zuschauer das Kunstwerk. Der Zuschauer soll empfänglich sein. Er soll die Violine sein, die der Meister spielt. Und je vollständiger er seine eigenen dummen Ansichten, seine eigenen törichten Vorurteile, seine eigenen absurden Ideen über das, was Kunst sein und was sie nicht sein sollte, unterdrückt, desto wahrscheinlicher wird er das Kunstwerk verstehen und zu würdigen wissen."
Oscar Wilde
Schauspielerinnenkarriere
Die Siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts waren eine Zeit wirtschaftlichen Aufschwungs in Deutschland. Man sah Handwerker zu Fabrikbesitzern aufsteigen und die Börsenspekulanten Millionäre werden. Auch Kleinbürger und Bauern begannen zu begreifen, dass sich Geld vermehrt, wenn man es gut anlegt. In dieser Zeit kam die arbeitslose Schauspielerin Adele Spitzeder nach München. Verschiedene Versuche, sich Geld zu leihen, schlugen fehl. Zufällig hörte sie in einer Bank, wie sich ein Schreinermeister darüber beklagte, dass er 6 % Zinsen für ein Darlehen zahlen müsste, seine Einlage nun aber mit ledigliglich 3 % verzinst würde. Frau Spitzeder sprach den Mann an, und bot ihm 8 % Zinsen an, falls er ihr kurzfristig sein Geld überließe. Offenbar strahlte die Frau Vertrauenswürdigkeit aus. Der Schreinermeister ließ sich nicht nur darauf ein, sondern erzählte weiter, dass es da eine Frau gäbe, die 8 % Zinsen zahle. In dem Pensionszimmer, in dem Frau Spitzeder abgestiegen war, gingen die Anleger bald ein und aus. Aus dem ständig wachsenden Kapital bezahlte die Schauspielerin pünktlich Kredite und Zinserträge zurück. Das sprach sich herum. In kurzer Zeit strömte halb München zu ihr. Ihre derbe Sprache machte Adele volkstümlich, an ihrer Rechtschaffenheit zweifelte niemand. Sie gerierte sich als Wohltäterin, unterstützte in Not geratene Familien und stiftete eine Suppenküche für die Armen. Die Münchner Polizeibehörde durchschaute ihr Schneeballsystem bald, aber es gelang ihr lange nicht, Beweise für einen Betrug zu finden. Private Kläger gab es keine, denn niemand fühlte sich geschädigt. Erst eine Intrige führte dazu, dass man sie wegen Untreue verhaften konnte. Jetzt brach das Kartenhaus zusammen. Tausende ihrer Kunden verloren ihr Geld. Doch die Spitzeder war so beliebt, dass die meisten alle Schuld den Behörden gaben. Das Gericht ließ sich von der allgemeinen Stimmung beeinflussen und verhängte nur eine milde Strafe. Nach drei Jahren Haft war Adele Spitzeder wieder auf freiem Fuß. Fortan reiste sie, endlich berühmt, von Theater zu Theater und erzählte einem faszinierten Publikum von ihrem wohltätigen Wirken als Privatbankbetreiberin.
Samstag, 1. August 2009
Bootsfahrt
Die Wiener Schauspielerin Karoline Blamauer fand im Berlin der Zwanziger Jahre kein Engagement. Im außerhalb der Stadt gelegenen Haus des Dramatikers Georg Kaiser arbeitete sie vorübergehend als Haus- und Kindermädchen. Am Morgen des 1. August 1924 sollte sie einen Besucher vom Bahnhof abholen. Das Landhaus der Kaisers in Grünheide lag an einem See, und der Bahnhof war am anderen Ufer. Weil das Wetter schön war und das Wasser glatt wie ein Spiegel, ruderte sie mit dem Boot zum Bahnhof. Dort wartete ein kleiner Mann in einem blauen Anzug mit zu kurzen Hosenbeinen, eine Drahtbrille mit dicken Gläsern im rundlichen Gesicht. Sie stiegen ins Boot und kamen, während Fräulein Blamauer ruderte, ins Gespräch. Es stellte sich heraus, dass der Besucher, ein recht bekannter Komponist, sie von einem Vorsingen kannte. In der Mitte des Sees legte sie die Ruder ein, kniete sich im schaukelnden Kahn hin, nahm dem kleinen Mann den Hut ab und küsste ihn auf die Stirn. Das ermutigte den Komponisten zu einer leidenschaftlichen Umarmung, bei der ihm die Brille von der Nase rutschte und im See versank. Ernüchtert, war ihm seine Zudringlichkeit peinlich. Verlegen machte er Karoline Blamauer einen Heiratsantrag. Die junge Schauspielerin lachte und ergriff wieder die Ruder. Doch die beiden heirateten später tatsächlich und blieben ein bewegtes Leben lang unzertrennlich. Die Welt kannte sie als Lotte Lenya und Kurt Weill.
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