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„Die Art, wie ich lebe, ist an sich schon ein Protest“ - TikTok-Star „World of Xtra“ im Interview

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Stan Fukase im Dragqueen Outfit als „Xtra“
Als „Xtra“ tritt Stan Fukase regelmäßig als Drag Queen auf. © Stan Fukase/BuzzFeed.at

450.000 Subscriber auf YouTube, rund 35 Millionen Likes auf TikTok: Stan Fukase ist bunt, laut, queer in Japan und mit seinem Youtube-Channel „World of Xtra“ überaus erfolgreich. Vor kurzem ist seine erste genderless Fashion-Kollektion „By.Xtra“ erschienen. Wir haben den Influencer interviewt.

Shinjuku, Tokyo. Eine U-Bahn voller Business-Männer - allesamt fast identisch gekleidet. Stillschweigend haben sie sich auf die gleiche Uniform geeinigt: Polierte Anzugschuhe, dunkelblaue oder schwarze Anzüge, grau-braune Ledertaschen. Ihr Blick ist gesenkt, die einen starren ins Smartphone, andere in die Leere. Die Kamera schwenkt und fokussiert auf einen jungen Mann in knallpinkem Outfit. Mit Sonnenbrille im Gesicht stolziert er auf Plateauschuhen durch die grauen Massen, dreht sich geschickt, posiert gekonnt und nimmt sich dort seinen Platz, wo es die kollektivistische Gesellschaft Japans am wenigsten verkraften kann: in der Öffentlichkeit.

„World of Xtra“: Queere Kunst in Japan

Unique, mutig, laut, bunt, dreist. All das sind Wörter, mit denen man Stan Fukase beschreiben könnte. In sich vereint er zwei Welten: Die Alltagsrealitäten eines in Tokyo lebenden Japaners und das queere Universum von „Xtra“, seinem Alter Ego als Drag Queen. „World of Xtra“ nennt sich der YouTube-Channel, indem der 23-jährige Zuseher:innen an seinem Alltag als queerer Japaner auf Englisch und Japanisch teilhaben lässt. Aufgewachsen mit einer aufgeschlossenen japanischen Mutter, die ihn schon früh dazu ermutigte, einfach er selbst zu sein, und einem streng katholischen philippinischen Vater, der auch heute noch kein Verständnis für seine sexuelle Orientierung zeigt, scheint der Social Media Star schon immer damit konfrontiert gewesen zu sein, dass ihm und seiner Identität gegenüber polarisierende Meinungen stehen.

Untertags hüpft Stan durch die Betonwüste Tokyos, vloggt von seinen Abenteuern für rund 450.000 Subscriber auf YouTube und inszeniert sich und seine Umwelt in den Videos satirisch. Dabei macht er auch vor neugierigen oder abfälligen Blicken keinen Halt. Bei Nacht wird er zu „Xtra“, einer Drag Queen, und bezirzt das queere Publikum in der japanischen Hauptstadt. Auf kleineren und größeren Bühnen in Shinjuku Ni-Chome, dem japanischen Zentrum der LGBTQIA+ community, wird er bejubelt. Verruchte Outfits, Tanzeinlagen und Spagatsprünge sind Teil seines fixen Repertoires. Die Welt gehört ihm - egal, ob und wie ihn die Leute anstarren. Im Sommer 2021 ist Stan zum ersten Mal eine Europa-Reise angetreten, Wien war der erste Stopp. Wir haben den jungen Influencer interviewt und mit ihm unter anderem über Fashion, Fame und Fremdenhass in Japan geredet.

Im Interview mit Stan Fukase

Hey Stan, stell dich mal bitte kurz für unsere Leser:innen vor :)

Mein Name ist Stan Fukase, ich bin Halb Japaner, Halb Filippino und derzeit ein YouTube-Content Creator in Japan, generell mache ich Influencer-Jobs. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, wie ich mich manchmal nennen soll, aber wenn Leute mich fragen, was ich mache, sage ich ihnen einfach: „Oh, ich bin kreativ.“ (lacht).

Wie bist du dazu gekommen, ein Social-Media-Star zu werden?

Seit ich jünger war, wollte ich mich immer im Internet präsentieren. Ich hab schon damals verstanden, wie mächtig das Internet ist (lacht). Mit TikTok habe ich im März 2020 angefangen. Ehrlich gesagt habe ich mir nicht groß was dabei gedacht, alle haben es damals ausprobiert. Ich hab einfach Content produziert und plötzlich hatte ich Millionen Views. Zwischenzeitlich war ich einer der am schnellsten wachsenden TikToker in Japan. Ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass es nach meinem Universitätsabschluss mein Vollzeitjob werden würde. Aber ich liebe den Job und das Beste daran ist, dass ich einfach ich selbst sein kann.

Du hast einen bunten, expressiven Kleidungsstil und trägst Make-up. In deinen Videos wirst du oft angestarrt. Wie gehst du damit um?

Vom ersten Tag an, seit ich nach Japan gezogen bin, wurde ich immer angestarrt. Am Anfang war es mir unangenehm. Ich denke, es liegt einfach daran, dass ich für die Menschen anders aussehe, als alle andern. Jetzt fasse ich das als Kompliment auf. Ich falle eben auf. Ich denke ich mir: “Ok, ich werde angestarrt, also werd ich einfach extra cute aussehen (lacht). Vor allem im Sommer passiert mir das, denn ich trage gerne Crop Tops, was hier gesellschaftlich als feminine Kleidung gilt. Mit gebleichten blonden Haaren, Make-up und knallbuntem Outfit, I mean, come on! Natürlich werden mich die Leute anschauen.

Wie schaffst du es, so viel Selbstvertrauen zu haben?

Mein größter Rat an alle, und ich weiß, das ist ein Klischee: Fake it ‘til you make it. Man muss Selbstbewusstsein einfach vortäuschen. Als mir zum ersten Mal bewusst wurde, dass ich schwul bin, konnte ich nicht einmal in den Spiegel schauen und ehrlich zu mir sagen: „Ich bin schwul“. Ich war so eine unsichere Person. Menschen schauen normalerweise in den Spiegel, um zu überprüfen, ob eh alles an ihnen in Ordnung ist, ob sie was im Gesicht haben zum Beispiel. Sich so selbst zu betrachten, ist eher negativ konnotiert. Wenn ich mich heutzutage in den Spiegel schaue, dann nur, um zu checken, wie gut ich aussehe. Ich sage zu mir: „Verdammt, du siehst heute richtig gut aus.“ So konditioniere ich mein Gehirn, selbstbewusst zu sein. Das funktioniert wirklich. Viele Leute machen schlechte Witze über ihr Aussehen, ich mache das nie.

Ich rede nie schlecht über mich.

Stan Fukase

Deine eigene Modelinie namens „By.Xtra“ steht in den Startlöchern. Der Slogan lautet „Kleider haben kein Geschlecht“. Was genau bedeutet die Message für dich?

Ich bin mit Runway-Shows aufgewachsen. Die Modeszene war für mich schon immer faszinierend. Ich habe mich damals schon gefragt, warum Männer nur schwarze oder blaue Anzüge tragen konnten, während Frauen so viele spannende Designs tragen durften. Frauenmode sah für mich immer viel cooler aus. Aber die Gesellschaft konditioniert uns dazu, zu denken, dass es nicht erlaubt ist, dass ein Junge sich wie ein Mädchen anzieht. 2019 habe ich mit Drag angefangen und herumexperimentiert. Ich wollte mich anfangs nur als Mädchen verkleiden. Dann wurde mir klar, dass ich nicht eine Drag Queen sein muss, um mich so anzuziehen. Ich kann ich selbst sein und trotzdem tragen, was ich will - und das Gefühl ist großartig. Bei Fashion geht es nicht ums Geschlecht, sondern darum, wie man sich fühlt.

Was sind einige deiner liebsten Mode- oder Make-up-Trends?

Ich liebe bauchfreie Tops und zu einem guten Plateauschuh kann ich nie nein sagen. Ich finde es außerdem wirklich toll, dass die Leute in letzter Zeit zu natürlichem Make-up tendieren. Vor ein paar Jahren hab ich ständig meine Drag Queen Make-up Base getragen, das ist jetzt anders. Was Fashion betrifft, folge ich nicht wirklich Modetrends. Ich trage gern das, was mir persönlich gut steht. 

Hast du eine Modeikone?

Die Influencerin Emma Chamberlain, definitiv. Sie sieht effortless gut aus und wirkt dabei gechillt. 

Stan Fukase
Stan Fukase liebt Fashion über alles. © Stan Fukase

Du hast deine Mutter dazu inspiriert, ihren eigenen YouTube-Kanal „World of Mama“ zu starten. Wie war dieser Prozess?

Sie wollte immer in meinen Videos sein, zum Beispiel hab ich sie einmal in eine Drag Queen verwandelt. Sie liebt die Aufmerksamkeit genauso wie ich, und den kreativen Prozess, wenn man sich neue Video-Ideen ausdenkt. Sie filmt die Videos selbst, edited sie und lädt sie hoch.

Stichwort Drag Queen: Wie ist dein Drag Queen-Alter Ego “Xtra” entstanden?

Es ist ein mega Klischee, aber ich war ein großer Fan von „RuPaul‘s Drag Race“. Als ich‘s zum ersten Mal geschaut hab, hab ich mir gedacht: “Oh mein Gott, das muss ich auch machen.” Ich liebe es, auf Bühnen zu stehen, zu tanzen und von Leuten angefeuert zu werden. Drag ist einfach perfekt für mich. Es gibt den Insider Joke in der Drag-Community, dass jede Drag Queen an Halloween beginnt. Genau das ist mir passiert. Ich hab Halloween als Vorwand genommen, um mich wie ein Mädchen zu verkleiden. Ich hab’s einmal ausprobiert - und der Rest ist Geschichte. Jetzt werde ich regelmäßig für Shows in Tokio gebucht.

Ich habe gesehen, dass einer deiner Signature Moves auf der Bühne eine Form des Spagatsprungs ist. Tut das nicht weh?

Ich war schon immer flexibel und dehne mich jeden Tag. Es tut mir nicht weh, aber versucht es lieber nicht zu Hause (lacht).

Unterscheidet sich Xtras Persönlichkeit von Stans?

Am Anfang hab ich das schon geglaubt. Jetzt merke ich, dass Xtra eben eine „zusätzliche“ Version von mir ist. Ich denke, wenn überhaupt, macht es mir Xtra möglich, noch mehr ich selbst zu sein. Und ich hab immer die Ausrede “Das war nicht ich, das war Xtra” (lacht).

Erzähl mir ein bisschen was über die LGBTQIA+-Community in Japan.

Eines der größten Probleme in Japan ist das Stigma, das die LGBTQIA+-Community immer noch trägt. Von dir wird erwartet, dass du Frauen magst, wenn du ein Mann bist, und dass du Männer magst, wenn du ein Mädchen bist. Auch in meinem alten Job als Englischlehrer bin ich mit Make-up arbeiten gegangen, manchmal sogar im Crop Top, wenn ich gerade keine Schüler:innen hatte. Mein Vorgesetzter hat sich zwar nicht gedacht „Oh, der ist schwul, weil er geschminkt ist.“, aber gleichzeitig angenommen, dass ich hetero bin, weil ich eben ein Mann bin. Er hat mich beiläufig Sachen gefragt wie „Warst du mit deiner Freundin dieses Jahr am Valentinstag auf einem Date?“

Vor welchen Herausforderungen stehen queere Menschen in Japan?

Wir kämpfen immer noch für Gleichberechtigung. Die Homo-Ehe ist immer noch illegal und wir können keine Kinder adoptieren. Auch wenn sich viele queere Menschen in Japan sicher fühlen, sind wir weder in den Medien noch in der Politik vertreten. Manchmal sieht man Drag Queens in Werbespots in Japan, was im Allgemeinen eine gute Sache ist, aber meistens werden diese Menschen komödiantisch dargestellt. Viele Leute in Japan ziehen voreilige Schlüsse, die nur auf einer Erfahrung basieren. Sie sehen einen Drag Queen-Entertainer und gehen gleich davon aus, dass jeder Mann in Frauenkleidern versucht, lustig zu sein. Man verallgemeinert einfach oft, was auch zu rassistischen Denkweisen führt. Einer meiner ehemaligen Schüler in Japan hat herausgefunden, dass ich Filipino bin, und mir ins Gesicht gesagt: „Ich mag keine Filipinos, weil sie nicht hart arbeiten. Und Filipinos lieben es, Geld von Japanern zu stehlen.“ Das ist schon heftig.

Allein die Tatsache, dass Leute uns nicht sehen und nicht wissen, dass es uns gibt, ist ein großes Problem.

Stan Fukase

Gibt es in Japan LGBTQIA+-Movements?

Es gibt tatsächlich viele LGBTQIA+-Movements in Japan. Die Organisation, der ich angehöre, veranstaltet jedes Jahr einen Wettbewerb für schwule Männer mit dem Titel „Mr. Gay Japan“. Wir machen aber auch Petitionen und reichen sie bei der Regierung und der Stadtverwaltung ein. Ich möchte, dass die Leute mich als jemanden in der Gemeinschaft sehen, weil ich existiere und Menschen wie ich offensichtlich existieren.

Ich denke die Art, wie ich lebe, und dass ich in einem bauchfreien Oberteil auf die Straße gehe, das ist an sich schon ein Protest.

Stan Fukase

Du warst vor kurzem zum ersten Mal in Wien. Was ist deine Meinung zu den LGBTQIA+ Spaces in Österreich?

Wien war tatsächlich eine der coolsten Städte, die ich jemals besucht habe! Ich liebe die Stadt. Was mir aufgefallen ist, ist, dass es keine Schwulenviertel gibt, weil die ganze Stadt offen für die queere Community ist. Auf den Ampeln gab es teilweise zwei Frauen oder zwei Männer, die Händchen halten. Ich denke, einer der Gründe, warum andere Länder wie Japan Schwulenviertel haben, ist, dass wir als queere Community noch explizit sichere Orte für uns brauchen. Tokio hat den größten LGBTQIA+-District der Welt, nämlich Shinjuku Ni-Chome, aber das zeigt auch, wie tabu es in Japan immer noch ist, queer zu sein. Das ganze Land hat quasi nur einen großen sicheren Areal für queere Menschen. Ich hab mich sehr willkommen gefühlt in Wien, in Mailand wurde ich hingegen auf offener Straße beleidigt.

Wie geht man mit so etwas um? 

Ich vermeide es, Menschen zu konfrontieren, wenn sie homophob sind, weil ich mich damit selber einer Gefahr aussetze. Safety first. Das ist auch mein Rat an die Leute: Achtet immer darauf, dass ihr sicher seid. Ich weiß, es fühlt sich so schlecht an, nach Hause zu gehen und sich zu denken: „Oh mein Gott, ich hab nichts getan“. Es ist wirklich gut, dass ihr euch für eure Community einsetzen möchtet, aber eure Sicherheit hat immer oberste Priorität.

Hast du einen Rat für unsere jungen Leser:innen, die sich nicht selbstbewusst fühlen oder Angst haben, sich zu outen?

Wenn ihr euch outen wollt, stellt immer vorher sicher, dass ihr auch safe seid. Außerdem: Fake it ‘til you make it, ich schwör‘s euch, es funktioniert (lacht). Noch was: Hört auf, euch mit anderen Menschen zu vergleichen. Viertens: Bitte sprecht über eure Gefühle und wenn ihr niemanden zum Reden habt, schreibt sie auf. Und zu guter Letzt: Es ist in Ordnung, egoistisch zu sein. Es ist in Ordnung, die eigenen Emotionen zu priorisieren. Hört auf damit, es zu romantisieren, ein guter Mensch für andere zu sein. Seid erstmal ein guter Mensch für euch selbst.

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